Südafrika in Österreich

12. April 2015

ICH BEFASSE MICH NICHT MIT POLITIK

12.04.2015 | von Teresa Schaur-Wünsch (Die Presse)

Kommende Woche gibt Johan Botha in Wien ein Konzert für seine Heimat. Ein Gespräch über Kindheit in Südafrika und darüber, dass er sich nicht mit Theaterpolitik beschäftigt, sondern sagt: "Lasst mich in Ruhe."

Sie verbringen Ihr Leben auf den Opernbühnen dieser Welt. Vermissen Sie die Weite Südafrikas?

Johan Botha: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, und natürlich vermisst man die offenen Savannen. Und die Wärme. Ich war gerade in Chicago, wo wir zeitweise minus 15 Grad Fahrenheit hatten. Da musste man aufpassen, dass man keine Erfrierungen bekommt.

Was ist Ihre früheste Erinnerung?

Ich glaube, der Geruch vom Tau frühmorgens, nachdem es abends ein bisschen geregnet hat. Das ist ein bestimmter Geruch, den es nur in gewissen Teilen der Welt gibt. Und da es in der Gegend, wo ich groß geworden bin, nur selten regnete, war das für uns eine unglaubliche Geschichte. Wenn man gesehen hat, wie die Tiere auf dem Hof sich gefreut haben. Das ist etwas, das man vermisst.

Dort haben Sie die Oper lieben gelernt – wenn der Generator lief.

Ja, das war unser einziger Zugang zu Elektrizität. Als ich als Zehn- oder 15-jähriger Bub in die Stadt kam, war es etwas ganz Neues, dass kein Lichtgenerator anspringen musste. Mein Vater hat dann irgendwann gesagt: „Lass die Lichter in Ruhe.“ Aber wir haben immer Oper gehört, mein Vater hat immer Schallplatten gehört. Ich habe immer mitgesungen.

Ihr Familienname Botha hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Da kann man nachlesen, wie er nach Südafrika kam: über einen Frederik Botha aus Thüringen im frühen 18. Jahrhundert.

Der Nachname Botha kommt in Südafrika sehr häufig vor. Als meine Mutter und mein Vater heirateten, hatten beide schon den gleichen Nachnamen. Die Familie meines Vaters kommt von der französischen Seite, den Hugenotten. Die Seite meiner Mutter kommt eher aus dem deutsch-polnischen-holländischen Sprachraum.

Sie sind in Zeiten der Apartheid aufgewachsen, wie haben Sie das wahrgenommen?

Als Kind hat man das schon wahrgenommen. Man hatte schwarze Freunde, mit denen man spielte, gerade auf einem Bauernhof. Das war normal, das waren unsere Kumpel. Als Kind konnte man nicht verstehen, wieso man dann nicht zusammen nach Hause gehen und am Tisch sitzen konnte. Da hat man schon Fragen gestellt. Nur bin ich in dieses System hineingeboren worden, genauso wie die Leute, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Mehr kann und will ich darüber nicht sagen, weil man es als Kind nicht begreifen konnte. Jetzt sieht man das anders. Ich habe zum ersten Mal gesehen, was wirklich los war, als ich außerhalb Südafrikas gelebt habe. Ich habe nur das Gefühl, die Menschheit hat noch nie aus ihren Fehlern gelernt. Ich bin jedenfalls froh, dass ich keine Regierung führen muss. Ich befasse mich auch mit keiner Politik, egal wo. Nicht einmal mit Theaterpolitik. Ich bin ein Mensch, der sagt: „Lasst mich in Ruhe.“ Ich zahle meine Steuern, und ich bin sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin und gesetzlich das tue, was von mir verlangt wird. Der Rest ist: „Lass mich in Ruhe.“ Es gibt Leute, die gewählt worden sind, sie sollen ihre Arbeit machen. Wenn nicht, dann wählt man sie nicht mehr.

Als Nelson Mandela 1990 freikam, waren Sie schon in Bayreuth.

Wir führten in Südafrika „Lohengrin“ auf. Dafür wurden an den Universitäten alle Sänger eingesackt, sie sollten im Chor mitmachen. Professor Norbert Balatsch war Chordirektor. Er hat mich gehört und gefragt, ob ich Lust hätte, bei den Bayreuther Festspielen mitzumachen. Worauf ich gesagt habe: „Warum nicht?“

War damals schon klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Sie Titelrollen singen?

Mein ganzes Leben war darauf ausgerichtet, als Solist zu arbeiten. Nur war ich zu jung, um Wagner zu singen, also musste ich halt italienisches Repertoire singen. Das ist auch heute wichtig für mich. Es ist die Kontrolle, dass ich noch immer die Stimme auf den richtigen Weg führe. Deshalb werde ich immer dafür sorgen, dass ich die gleiche Anzahl von Vorstellungen im italienischen wie im deutschen Fach habe.

Was wahrscheinlich gar nicht so leicht ist, so gefragt, wie Sie im Deutschen sind.

Das ist das Problem. Damals jedenfalls wusste ich schon, in welche Richtung es gehen wird – ich hatte eine sehr dramatische Stimme, habe sie immer noch. Ich habe nur gewusst, wenn ich zu früh große Partien singen würde, würde meine Karriere nicht lang dauern. In der ersten Zeit in Bayreuth habe ich gesehen, wie man solche Karrieren machen und wie man sie nicht machen soll. In Bayreuth funktioniert ja alles wunderbar. Warum? Da Richard Wagner das Haus mit perfekter Akustik gebaut hat. Man sitzt auf Holzstühlen, eng aneinandergereiht. Einmal habe ich eine Vorstellung angeschaut. Danach habe ich zu meinem Agenten gesagt: „Ich singe lieber, als dass ich in Bayreuth im Zuschauerraum sitze.“ Das ist furchtbar. Wenn man sich bewegt, hat der Nachbar den Ellbogen in den Rippen. Aber auf dieser Bühne ist es natürlich einfach zu singen. Auf dieser Bühne hat man immer das Gefühl, als ob man in einem Badezimmer singt: Es gibt einen Hall, wie ein Echo. Das Orchester kann so laut spielen, wie es will, die Dynamik auf der Bühne ist immer perfekt. Das Problem ist, wenn man in der Wiener Staatsoper oder der Metropolitan Opera singt, hat man größere Orchester vor sich und muss nun vor einem Riesenhaus singen, ohne dass das Orchester gedämpft ist. Das ist der Grund, wieso sehr viele Kollegen, die erst in Bayreuth angefangen haben, Wagner zu singen, später Schwierigkeiten bekommen.

Bayreuth ist ein Mikrokosmos, in sich selbst schon große Oper.

Es ist wie eine Familie, die zusammenkommt. Wenn jemand auf dumme Gedanken käme, könnte er alle Leute, die Wagner singen können, auslöschen. Wir sind nur fünf oder sechs Tenöre und sitzen alle in Bayreuth. Genauso ist das mit dem Rest der Partien. Es wird nicht dafür gesorgt, dass Nachwuchssänger nachkommen. Wenn es einen gibt, wird er zu schnell in dieses Repertoire eingeführt und verheizt. Er verliert die Stimme, und man hört nie mehr von ihm. Die jungen Leute haben nie gelernt, Nein zu sagen. James King hat mir gesagt: „Eine große Wagner-Karriere wird durch das Wort ,Nein‘ gebaut.“

Sie selbst bereiten sich für 2017 auf den Tristan vor. Wie kann man sich das vorstellen?

Das große Problem ist: Ich habe dauernd Vorstellungen, bin dauernd unterwegs. In meinen Verträgen steht eine Klausel: Wenn ich zu einem Haus komme, sollte ich die Partie auswendig können. Nicht nur meine, sondern alle, ich soll ja interagieren. Das braucht seine Zeit. Bei Wagner sind 80 Prozent althochdeutsch. Das muss man übersetzen. Im dritten Akt von „Tristan“ hat man einen 45 Minuten langen Monolog. In diesen 45 Minuten kann man nicht wie ein Meistersinger eine Geschichte erzählen. Tristan ist verletzt, im Delirium, am Sterben. Wenn man den Text so vor sich hat, denkt man sich: „Mein Lieber, wie ist Wagner darauf gekommen?“ Leider kann man ihn nicht mehr fragen. Schön wäre es gewesen. Dann hätte man vielleicht eine Idee, wie man das schneller lernen kann.

Auch das Singen ist dann ein Kraftakt. Hilft es da, ein kräftiger Mensch zu sein?

Wenn man die Wagner-Sänger anschaut, sind wir schon Kraftpakete. Man muss bedenken, wenn man „Tristan“ singt, ist das eine Sechsstundenoper. Ich bin nur 20 Minuten nicht auf der Bühne. Da braucht man eine gewisse Kraft, um das durchzustehen. Sonst übt man Druck auf die Stimme aus. In dem Moment hat man ein großes Problem.

Wo holen Sie sich Kraft?

Puh, wo holt man sich Kraft? Man versucht, so viel wie möglich vor einer Wagner-Vorstellung zu schlafen. Ich esse Dinge, die sehr schnell Energie liefern. Man muss wissen, wie man sich in diesen Partien selbst einteilt.

Ist es auch emotional ein Kraftakt?

Wenn man ein Stück wie „Tannhäuser“ singt, will man danach nicht mit Leuten sprechen. Man ist nur froh, dass man es geschafft hat. Ich kann auch vor einer Vorstellung nicht essen. Danach hat man einen Bärenhunger und isst natürlich ungesund. Das ist das Problem an der ganzen Geschichte. Lassen Sie es mich so sagen: Wenn man fertig gesungen hat, ist man auf einem ganz anderen Planeten. Ein Adrenalinschock. Wenn ich nach sechs Stunden ins Hotelzimmer komme, habe ich plötzlich diese unglaubliche Ruhe um mich, sitze mit meinen Gedanken da und muss verarbeiten, was ich da auf der Bühne erzählt habe. Das dauert bis drei, vier Uhr morgens. Wenn ich dann umfalle, dann schlagartig.

 

Herr Botha, darf man Sie auch fragen...

1...ob Sie als Legastheniker eine eigene Technik entwickelt haben?

Das muss man natürlich, wenn man als Legastheniker eine Unmenge an Text im Kopf haben muss. Ich arbeite mit Bildern, die ich abrufen kann.

2...wo Sie in Wien essen gehen?

Da gibt es viel. Plachutta, das Café Mozart, TGI Fridays. Wir kommen aus Südafrika, wir mögen Steaks. Meistens kommen wir Südafrikaner zusammen und haben ein Barbecue. Auch im Winter.

3...warum Sie den Ruf haben, ungern Interviews zu geben?

Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht. Man hat Sachen gesagt, die ich gesagt haben soll, von denen ich aber weiß, dass ich sie nicht gesagt habe. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, das nicht mehr mitzumachen. Ich spreche auch sehr wenig über Kollegen, Repertoire und Regisseure. Ich singe auf der Bühne, ich brauche meine Energie dafür. Wenn ich etwas zu sagen habe, gebe ich ein Interview. Wenn nicht, dann nicht.

 

Steckbrief

1965 wurde Johan Botha in Rustenburg (Südafrika) geboren. Er wuchs auf der Farm seiner Großeltern auf, die die Umgebung mit Milch versorgte. Schon als Fünfjähriger erklärte er, er würde Opernsänger werden.

1990 sang er zum ersten Mal im Bayreuther Festspielchor, danach in Hagen, Dortmund und Bonn. Seither singt er freiberuflich.

Seit 1993 lebt er mit seiner Frau in Wien. Er hat zwei Söhne, ist österreichischer Staatsbürger und Kammersänger.

Am 20. April gibt Botha mit der südafrikanischen Sopranistin Pretty Yende ein „Nelson Mandela Tribute“-Konzert im Wiener Konzerthaus. Der Erlös kommt Mandelas letztem Wunsch zugute – einem Kinderkrankenhaus für das südliche Afrika. Die beiden singen u.a. Verdi, Puccini, J. Strauß und Lehár. Karten: www.konzerthaus.at

 

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